Dokumentation


35 Jahre Frauenzentrum

 Frauenzentrum 1985 bis 2020

 

Das „Frauenzentrum Wetterau“ in Friedberg feiert in diesem Jahr sein 35-jähriges Bestehen. Das Bildungs- und Kulturzentrum ist ein Ort der Begegnung von Frauen aus einer Vielzahl von Kulturen und mit individuellen Lebensgeschichten. Das Programm bietet u. a. ein wöchentliches Café, Diskussionsforen, Ausstellungen, Ausflüge, Lesungen, Aktionstage, Stadtführungen oder Treffen zum gemeinsamen Brunch. Sprachkurse und Thementage laden zum Lernen ein. Seminare und vielfältige kulturelle Veranstaltungen ermöglichen Fortbildung, Anregung und Entspannung. Frauen in Krisen- und Notsituationen erhalten persönliche Beratung und Informationen über die Hilfeeinrichtungen in der Wetterau. Außerdem treffen sich regelmäßig Gruppen mit unterschiedlichen Arbeitsinhalten, zum Beispiel Trennung und Scheidung, interkultureller Dialog oder Politik. „Wir stärken Frauen und bieten ihnen Freiraum für persönliche Entwicklung“ ist der Leitsatz des Trägervereins Frauenzentrum Wetterau e.V., dessen Vorstand die Einrichtung ehrenamtlich leitet. Letzten Samstag sollte das Jubiläum mit einem „Tag der offenen Tür“ gefeiert werden. Leider musste die Veranstaltung, wie so viele, abgesagt werden.

 

Eine kleine Chronik

Gegen Ende der 70er Jahre im letzten Jahrhundert gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine Familienrechtsreform, die erhebliche Veränderungen mit sich brachte. Die Frauen, die nun für außerhäusliche Aktivitäten keine Einwilligung ihres Ehemannes mehr benötigten, fingen an, sich zu „emanzipieren“. Sie lösten sich zunehmend aus hemmenden Abhängigkeiten und wurden selbstständiger. Sie trafen sich in Frauengruppen und diskutierten ihre Situation.

Auch in der Wetterau luden Frauen ab Herbst 1984 in der örtlichen Presse zu Treffen in einer Kneipe ein, um gemeinsam Aktionen zu planen und zu organisieren. Doch es war schwierig, dort in Ruhe einen individuellen Weg zu suchen. Die Frauen brauchten eigene Räumlichkeiten. Denn manche Frauen hatten Erfahrungen zu berichten, die für alle nicht einfach zu verkraften waren. So fand im Januar 1985 in Friedberg die Gründungs-veranstaltung des Vereins „Frauenzentrum für den Wetteraukreis“ statt. 15 Frauen beteiligten sich damals als Mitfrauen und begannen, ein Programm für ihre Geschlechtsgenossinnen zu erarbeiten. Es wurden Finanzierungs- und Haushaltsanträge gestellt und als erste Unterstützung gab es einen zweckgebundenen Zuschuss des Wetteraukreises. Das war der Start für ein eigenes Domizil in der Friedberger Altstadt im November 1986.
Bereits während dieser Zeit arbeiteten die Frauen daran, ein Frauenhaus für die Wetterau zu bekommen. Während im Frauenzentrum Beratungen von körperlich und seelisch misshandelten Frauen stattfanden, entstand der eigenständige Verein „Frauen helfen Frauen“, der sich in der Folge schwerpunktmäßig um die Errichtung des Frauenhauses kümmerte. Auch die Frauen der „Notrufgruppe“ machten sich bald selbstständig und trafen sich fortan in Nidda. Unterdessen entwickelte sich das Frauenzentrum weiter als Ort zum Kennenlernen und als Raum zum Agieren, zum Lernen und zum Feiern. Viele Angebote drehten sich um die Entlastung vom Alltag. Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse fanden großen Zuspruch, denn immer mehr Frauen machten die gegen sie ausgeübte Gewalt öffentlich. Es bildeten sich themenbezogene Gruppen, wie z.B. Stillgruppen oder die Gruppe für Alleinerziehende.

 

Seit den Anfängen des Frauenzentrums gibt es das „Internationale Frauen-Café“. Jeden Mittwochnachmittag bietet es bis heute einen Treffpunkt für Frauen jeden Alters und jeder Herkunft, die sich informieren und austauschen möchten.

 

1986 begann das Frauenfilm-Projekt, das neunzehn Jahre lang jeden Monat einen Frauenfilm in die heimischen Kinos brachte. Dazu wurden Regisseurinnen eingeladen, wie zum Beispiel 1997 die vielfach ausgezeichnete Caroline Link, und es wurden Filmnächte veranstaltet. Von Dokumentarfilmen über Frauenschicksale, von Krimis bis hin zu Komödien reichte die Bandbreite der Vorführungen. Frauen, die selbst künstlerisch tätig waren, nutzten die Räumlichkeiten des Frauenzentrums von Anfang an für Ausstellungen und Lesungen.

 

Im Frühjahr 1995 erfolgte der Umzug in die Kaiserstraße 164. Durch Anzeigen finanzierte Halbjahresprogramme informierten damals über das Seminarangebot aus den Bereichen Gesundheit, Sprachen, EDV, Recht, Kultur und Soziales. Großveranstaltungen wie die Frauen-Gesundheitstage oder Fachveranstaltungen wurden von einem erweiterten Team ausgerichtet.

 

In Büdingen gab es von 1998 bis 2009 eine Zweigstelle mit eigenem Programm. Der modern ausgestattete EDV-Schulungsraum wurde zeitweise in Kooperation mit der Volkshochschule des Wetteraukreises genutzt.

 

Ernste finanzielle Probleme entstanden mit der Umstellung von der D-Mark auf den Euro. Die Teilnehmerinnen-Zahlen an den Kursen nahmen 2001/2002 drastisch ab. Bildungsurlaube und viele kostenpflichtige Kurse fanden wegen der überall einsetzenden Sparmaßnahmen in den Betrieben und Behörden nicht mehr statt. Zusätzlich strich 2003 auch noch das Land Hessen im Zuge der Aktion „Sichere Zukunft“ den Förderbetrag des Zentrums um 100 %. Ein radikaler Schnitt war jetzt angesagt. Der Vorstand stand vor der Frage, Räume oder Personal zu behalten? Um die Einrichtungen in Friedberg und Büdingen weiterführen zu können, wurden alle Arbeitsplätze im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten abgebaut und die Arbeit auf ehrenamtliche Basis umgestellt. Nachdem der lange geplante Umzug in günstigere Räumlichkeiten in der Wintersteinstraße in Friedberg im April 2004 endlich über die Bühne ging, konnte aufgrund der eingesparten Miete im August eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen im Büro auf Minijob-Basis eingestellt werden. Bis heute wird aber ein wesentlicher Teil der inhaltlichen und der organisatorischen Arbeit im Zentrum ehrenamtlich geleistet. Die Seminar-Leiterinnen wurden und werden auf Honorarbasis entlohnt.

 

Seit 2004 erstmals Deutsch-Kurse für Migrantinnen stattfanden, wurde der Schwerpunkt „Arbeit mit und für Migrantinnen“ kontinuierlich ausgebaut. Die Kurse „Deutsch für den Alltag“ sollten Mütter in die Lage versetzen, Arztbesuche oder Verhandlungen mit Vermietern ohne die Übersetzungsdienste ihrer Kinder wahrzunehmen. Durch die Beteiligung an internationalen Festen und internationalen Frauen-Frühstücken entstanden nach und nach Kontakte zu mehreren ausländischen Frauengruppen. Für diese standen ebenfalls die Räume des Zentrums zur Verfügung.

 

Immer spielten Netzwerke und Kooperationen im Frauenzentrum eine wichtige Rolle. Beispielsweise haben sich mehrere Selbsthilfegruppen dort getroffen; lange Jahre unter anderen der „Gesprächskreis für Mädchen und Frauen mit Behinderungen“.

 

Eine der wichtigsten Aufgaben besteht in der Stärkung und Unterstützung von Frauen in Konfliktsituationen. Das Zentrum bietet Hilfe in Krisen- und Notsituationen durch persönliche Beratung und Informationen über die Hilfeeinrichtungen in der Wetterau. Deren Arbeitsweise und Unterstützungsmöglichkeiten wie auch die dort Tätigen sind durch die Mitwirkung in unterschiedlichen Netzwerken vertraut. In der Einzelberatung werden Frauen gestärkt, ihren Weg aus der belastenden Situation heraus zu finden und zu gehen. Neben der Einzelberatung lädt das Frauenzentrum monatlich Frauen ein, die sich von ihren Partnern getrennt haben oder geschieden wurden. In der Gruppe besteht die Möglichkeit des Austauschs von Erfahrungen und der gegenseitigen Unterstützung in einem geschützten Rahmen.

 

Viele Fachtagungen, Informationsveranstaltungen und Informationsstände in der Wetterau wurden gemeinsam mit den befreundeten Frauenvereinen „Frauen helfen Frauen“, „Frauen-Notruf“ und „Wildwasser“ durchgeführt.

 

Besonders wichtig für die Arbeit ist auch der „Fachdienst Frauen und Chancengleichheit“ des Wetteraukreises als fachliches Korrektiv und häufiger Kooperationspartner. Gemeinsam mit dem Fachdienst und weiteren Frauenbeauftragten aus den Städten entstand die Veranstaltungsreihe „Miteinander Leben gestalten“, die jeweils zum Internationalen Frauentag (8. März) und im September zu den „Interkulturellen Wochen Wetterau“ eine frauenpolitische Diskussionsveranstaltung anbietet.

 

Seit 2012 bot das Frauenzentrum, gemeinsam mit dem Jobcenter in Friedberg, den Frauentreff an, ein Angebot für Frauen über 50, die längere Zeit arbeitsuchend waren. Er basierte auf dem Konzept der stabilisierenden Gruppenarbeit und half den Teilnehmerinnen, Arbeitshemmnisse abzubauen. Leider lief mit dem bundesweiten Jobcenter-Projekt „Chance 50 +“ der „finanzierte“ Frauentreff zum Jahresende 2015 aus.

 

Als Reaktion auf Fragen, die durch Vorfälle zur Silvesternacht 2015 in Köln aufgeworfen worden waren, entstand die Idee zu einer Diskussionsveranstaltung im Frauenzentrum zum Thema: „Sind die Rechte der Frauen in Gefahr?“. Die Runde fand im Rahmen der Reihe „Frauenforum der Vielfalt“ statt. Die Frauenbeauftragten informierten über die bestehende rechtliche Situation (z. B. die fehlende Umsetzung der „Istanbul – Konvention“ von 2011) und Lücken in der Gesetzgebung. Die Teilnehmerinnen aus verschiedenen Kulturkreisen setzten sich mit Frauenbild & Männerrolle in verschiedenen Herkunftsländern auseinander und überlegten, wie positive Werte vermittelt und vorgelebt werden könnten. Sie machten Werbung für die bundesweite „Nein heißt Nein“ – Kampagne, der inzwischen bekanntlich eine Gesetzesänderung folgte.

 

Gleichzeitig wurde das Engagement gegen aufkommende rechte Gruppierungen und faschistische Tendenzen verstärkt, häufig in Kooperation mit anderen prodemokratischen Gruppen. Nach den Kommunalwahlen im März 2016 gründete sich ein Netzwerk aus Politikerinnen und engagierten Wählerinnen, das bis in die Gegenwart politisch Stellung bezieht und gemeinsam mit vielen weiteren Organisationen unsere demokratische Verfassung verteidigt.

 

Das Jahr 2018 stand im Frauenzentrum Wetterau ganz und gar im Zeichen einer Entscheidung, die einhundert Jahre zuvor gefallen war: das Recht auf allgemeine, gleiche und geheime Wahlen, das den Frauen, erstmals für die Wahlen im Januar 1919, das aktive und das passive Wahlrecht eingeräumt hatte.

 

Zweimal wurden Besuche der Ausstellung „Damenwahl!“ im Historischen Museum in Frankfurt organisiert. In der Wetterau hatte sich, angeregt von den Frauenbeauftragten des Wetteraukreises, zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“ ein Aktionsforum aus mehreren Frauengruppen und Organisationen zusammengefunden. Gemeinsam mit den Frauenbeauftragten der Städte Friedberg und Bad Nauheim, der Evangelischen Kirchengemeinde Friedberg und FAB gGmbH lud die Gruppe eine Woche vor der Landtagswahl zum Aktionstag in die Wolfengasse ein. Rund um den roten Teppich zwischen Kaiserstraße und Stadtkirche in Friedberg boten die Akteurinnen Informationen und Unterhaltung für die Besucherinnen des Wochenmarktes am Samstag. Die Frauen des Frauen-Netzwerks informierten ausführlich mit einer Wandzeitung über die zahlreichen Volksabstimmungen, die zeitgleich zur Landtagswahl abgestimmt werden sollten. Außerdem wehrten sich die Frauen gegen Rassismus plakativ gegen eine Wende rückwärts bei den Frauenrechten. Finanziell unterstützt wurde das Bündnis am Aktionstag vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ Rund um diesen Tag rankte sich von Juli 2018 bis Januar 2019 eine Abfolge von einem Dutzend unterschiedlicher Veranstaltungen, die mit einem sehr stilvollen Flyer in der Wetterau und darüber hinaus beworben wurden.

 

Und 2019 wurde durch die Europawahlen geprägt. Das Aktionsbündnis, das im Vorjahr so erfolgreich zusammengearbeitet hatte, fand sich wieder zu gemeinsamen Straßenaktionen und Informationsveranstaltungen zusammen. Im Frauenzentrum traf der Besuch einer Lobbyistin aus Brüssel auf großes Interesse, genauso wie die Informationen über die Projekte im Wetteraukreis, die durch die EU gefördert wurden.

 

Der „Imagine-Peace-Day“ in Friedberg sowie eine „Friedenslesung“ umrahmten im Kalender die Aktivitäten für ein geeintes Europa. Der neu gebildete Häkelkreis und die Näh-Werkstatt ermöglichten interessierten Frauen handwerkliche Kreationen. In diesem Jahr steht der Einsatz gegen rechte Gewalt und die Verletzung der Menschenrechte im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

 

Wie in allen Bildungs- und Kultureinrichtungen finden auch im Frauenzentrum derzeit keine Veranstaltungen statt. Das Beratungsangebot besteht jedoch weiter und wird nach Bedarf gestaltet. Das Büro ist dienstags bis donnerstags von 10.00 bis 13.00 Uhr besetzt und telefonisch (06031-2511) oder per E-Mail (frauenzentrum.wetterau@t-online.de) für Anfragen erreichbar.

 

Sicher soll der dem Corona-Virus zum Opfer gefallene „Tag der offenen Tür“ anlässlich des Jubiläums nachgeholt werden, wenn die Bewegungseinschränkungen und das Kontaktverbot irgendwann wieder aufgehoben werden.

 

Es ist bemerkenswert, wie ca. zehn kontinuierlich arbeitenden Ehrenamtliche ein solch breit gefächertes Angebot von rund 250 Veranstaltungen pro Jahr zustande bringen. Was sie sich wünschen: mehr Frauen, die Freude daran haben, das Programm mitzugestalten.

 

  

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1985 - 2020
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